Dieser Artikel erschien am 3. Oktober in englischer Sprache auf  Medium.

Ein Thema, dem häufig keinerlei Beachtung geschenkt wird, ist die Frage nach dem personellen Ursprung (Schöpfer/Initiator) einer Sache oder Idee.
Wer ist Schöpfer, Erfinder, Initiator (von uns die „Quelle“ genannt)? Was haben Missklänge in Teams hiermit zu tun? Warum ist in manchen Projekten einfach der Wurm drin? Weshalb reagieren wir oft so verschnupft und protektiv, wenn es um das Teilen unserer Ideen geht? Und welchen Beziehung stehen Quelle und Hierarchie? Die Benennung der Quelle nicht nur wichtig für die Balance in Teams, Projekten und Organisationen, sondern auch in unseren persönlichen Beziehungen und im Umgang mit uns selbst. Wenn ich die Quelle im anderen honoriere, dann läuft es zwischen uns besser. Wenn ich die Quelle in mir spüre und ihrem Fluss folge, dann mache ich in meinem Leben auch eher mein DING und erlebe eine höhere Lebensqualität.

Quelle
 1.  aus der Erde tretendes, den Ursprung eines Flusses bildendes Wasser
 2.  etwas, wodurch etwas entsteht
3.  [überlieferter] Text, der für wissenschaftliche o.ä. Arbeiten, Forschungen herangezogen, ausgewertet wird, werden kann
4.  Stelle oder Person[engruppe], von der man etwas Bestimmtes, besonders bestimmte Informationen, unmittelbar erhält

Jedes Unternehmen, Projekt oder Ereignis lässt sich stets zu einer Quelle zurückverfolgen: Zu der Person nämlich, die einer Idee Leben einhauchte und etwas riskierte, um ihre Vision zu realisieren.

Sogar in Fällen, in denen vermeintlich mehrere Personen die Idee gemeinsam hatten, stellt sich bei näherem Hinsehen heraus, dass die ursprüngliche Grundidee auf eine bestimmte Person zurückführt. Diese Person, welche die Rolle der Quelle ausfüllt, hat eine einzigartige energetische Beziehung zum jeweiligen Unterfangen, die sich von der Beziehung des restlichen Teams oder der Beteiligten deutlich unterscheidet. Die Quelle weiß intuitiv, welche Schritte als nächstes folgen müssen und hat starke, manchmal sogar körperliche Abwehrreaktionen, wenn dieses intuitive Wissen nicht ernst genommen oder honoriert wird.

Selbst wenn es manchmal andere sind, welche die „Gestalt“ (die sichtbare äußere Form von etwas) einer Unternehmung besser beschreiben können, ist es doch die Quelle, die am besten und intuitiv weiß, wie diese Unternehmung „aussehen soll“. Wie wichtig die Anerkennung der Quelle ist, zeigt sich vor allem, wenn ebendiese fehlt: Machtkämpfe brechen aus und alle Beteiligten leiden unter einer spürbaren Spannung. Die Quelle und ihre Rolle als solche anzuerkennen, verringert das Konfliktpotential und führt zu reibungsloseren Prozessabläufen.

Der Schöpfungsprozess

Wenn eine Idee, ein Projekt oder eine Organisation ein Individuum wäre, könnten wir dieses bis zu seinen Wurzeln zurückverfolgen. Am Anfang des Lebens dieses Individuums steht der Akt der Schöpfung. Genauso wie ein Kind einen biologischen Vater und eine Mutter hat, haben auch Ideen „Eltern“.

Nehmen wir an, es gäbe ein Feld oder eine Dimension, in der sämtliche Ideen bereits bestehen; ein Feld uneingeschränkten, aber auch unpersönlichen Potenzials (soll heißen: hier gehört die Idee niemandem, alle Ideen sind für alle gleichermaßen als Potenzial vorhanden). Dieses Feld symbolisiert das männliche Prinzip, den Vater.
Das weibliche Prinzip der Mutter ist die Quelle; die Trägerin, welche die Idee zur Welt bringt. So wie eine Mutter das Kind in ihrem Bauch trägt, kann jemand auch mit einer Idee, die aus dem Feld des uneingeschränkten Potenzials stammt, lange „schwanger gehen“, bevor diese tatsächlich „geboren“ wird.

Selbst nachdem die Idee geboren wurde, besteht eine starke Verbindung zum dem Feld und der Quelle. Sie existieren wie Eltern als der biologische Ursprung eines Kindes. Sie werden immer eine besondere Rolle haben, unabhängig davon, wer das Kind tatsächlich aufzieht. Auch wenn das Kind von anderen adoptiert oder aufgezogen wird, ist es von großer Bedeutung, die ursprüngliche Verbindung anzuerkennen. Auf dieselbe Weise bleibt die Verbindung der Idee zur Quelle auch dann bestehen, wenn die Idee oder Vision von anderen realisiert wird.

Die Rolle der Helfer

Von großer Bedeutung für den Erfolg einer Idee oder eines Projektes, ist die Rolle anderer als Helfer und Unterstützer, oder sogar in einer Funktion als Neben-Quellen.
Um weiterhin in der Kind-Metapher zu bleiben, gilt auch hier das englische Sprichwort „It takes a village…“ (dt. Es braucht ein ganzes Dorf), um ein Kind erfolgreich aufzuziehen.

Je größer die ursprüngliche Vision der Quelle, umso wichtiger ist die Hilfe anderer bei ihrer Realisierung. Die Unterstützer spielen hierbei verschiedene Rollen: von der Umsetzung der Idee in ein Konzept oder einzelne Aufgaben, bis hin zur Entwicklung von Nebenprojekten, bei denen jeder Unterstützer selbst als Neben-Quelle tätig werden kann.

Jeder Unterstützer hat eine einzigartige Verbindung zum Projekt und kann darin eine zentrale Rolle spielen, so lange nur die Quelle als Ursprung anerkannt wird und ihrer Aufgabe nachkommt, die Energie eines größeren Raumes zu halten, in dem alle Unterprojekte eingenistet sind. Sobald sich jemand aber fälschlicherweise zur Quelle deklariert, wird das System gestört: es verliert seine Balance, was zu einer Vielzahl von unangenehmen Konsequenzen führt. Je verbundener sich die Unterstützer auf energetischer Ebene mit der Idee/Vision fühlen, umso einfacher ist es für sie, die besondere Rolle der Quelle anzuerkennen. Das wiederum verleiht dem ganzen Vorhaben eine besondere Dynamik.

Die Quelle in Unternehmen und Organisationen

Jedes Unternehmen hat seinen Ursprung in dem Moment, in dem die Idee geboren wurde und scheinbar aus dem Nichts heraus Gestalt annahm. Das ist vor allem in Familienunternehmen zu beobachten. Dennoch ist es häufig gar nicht so einfach wie angenommen, die genaue Quelle zu identifizieren. So wird die Gründung eines Unternehmens oft einer einzelnen Person zugeschrieben (z. B. dem Patriarchen), obwohl die treibende Kraft des Ganzen faktisch jemand anderes ist (z.B. die Matriarchin der Familie). Deshalb ist es von großer Bedeutung, sich genau anzusehen, wer die ursprünglich antreibende Kraft hinter dem Unternehmen ist, bevor voreilige Schlüsse über die Quelle gezogen werden.

Die Rolle der Quelle kann von einer Person vererbt oder weitergegeben werden. Diese Weitergabe ist weniger ein formeller oder juristischer Akt, als vielmehr ein Ritual, das auf energetischer Ebene vollzogen werden muss. Die Essenz des Unternehmens, die hierbei von einer auf die nächste Quelle übergeben wird, sind die leitenden Werte, nicht jedoch die Vision selbst, die sich über die Zeit ändern und neuen Kontextfaktoren angepasst werden kann.

Selbst wenn vertraglich alles geregelt ist, gelingt manchmal eine Weitergabe nicht und die Rolle der Quelle verbleibt beim ursprünglichen Gründer. Die Konsequenz ist eine Schwächung der neuen Führungskraft – und mit ihr eine Schwächung des ganzen Unternehmens. Eine echte Nachfolge erfolgt idealerweise, wenn die beteiligten Personen sich der Funktion von Quelle bewusst und offen für den Prozess sind. Ohne eine volle, bewusste Übertragung der Quelle von der ursprünglichen auf ihren Nachfolger, entbrennt ein Kampf um Dominanz und Anerkennung.

In familiengeführten Unternehmen ist es nicht unüblich, dass die Rolle der Quelle bei der Weitergabe eine Generation überspringt. Sollte die ursprüngliche Quelle noch vor der Übergabe verstorben sein, so kann diese Weitergabe durch einen Initiationsritus erfolgen, bei dem die Bedeutung der ursprünglichen Quelle gewürdigt wird, bevor eine neue Führungskraft ihre Verantwortung für die Organisation in dieser Rolle übernimmt. Ist die ursprüngliche Quelle noch am leben, sollte dieser rituelle Akt mit den betreffenden Personen von Angesicht zu Angesicht durchgeführt werden. Die ursprüngliche Quelle muss in irgendeiner Weise „loslassen“ und das Projekt/die Organisation aus ihrer Obhut entlassen, damit eine Übergabe stattfinden kann. Gleichzeitig muss die neue Quelle die bewusste Entscheidung treffen, ihre Rolle voll anzunehmen und die zentralen Werte der ursprünglichen Quelle zu würdigen, damit sie ihre Aufgabe erfolgreich wahrnehmen kann.

Eine unvollständige Übertragung der Quelle kann sich darin äußern, dass der oder die NachfolgerIn

  • sich dem Unternehmen nicht verbunden fühlt,
  • keine Vision hat; sich über die nächsten Schritte unsicher ist,
    seinen/ihren Platz oder Bestimmung innerhalb des Unternehmens nicht versteht,
  • sich trotz formaler Macht nicht durchsetzen kann,
  • ständig in Machtkämpfe mit anderen Personen im Unternehmen verwickelt ist,
  • von anderen nicht als Führungskraft wahrgenommen und akzeptiert wird.

Es kann stets nur eine Person die Rolle der Quelle innehaben. Die Inhaberschaft oder die Verteilung von Posten und Profiten innerhalb einer Organisation sind nicht an die Rolle der Quelle gebunden, aber wohl wer das letzte Wort über strategische Entscheidungen hat.

Die Rolle der Quelle in der Führung

In jeder Organisation gibt es zahlreiche Quellen für zahlreiche Projekte. Je komplexer die Organisation, umso mehr Quellen gibt es. Es ist von entscheidender Bedeutung anzuerkennen, dass die Quelle intuitiver als andere Beteiligte erkennt, was als nächstes getan werden muss. Diese Tatsache wird leichter akzeptiert, wenn es sich bei der Quelle auch um die an der Spitze stehende Führungskraft handelt. Schwieriger wird es in vielen Fällen, wenn die Quelle eines Gedankens oder Projekts eine angestellte Person ist. Jedoch muss die Quelle anerkannt werden, um ihr ganzes Potenzial in der Organisation ausleben zu können, unabhängig von ihrer formalen Rolle innerhalb der Hierarchie. Ein Mangel an Anerkennung wird von den meisten Mitgliedern der Organisation als ungerecht, unfair und unmoralisch empfunden. Wenn die Führungsebene diese Ungerechtigkeit nicht beendet, führt das zu einem Vertrauensverlust in die Führung und schlussendlich die gesamte Organisation. Anerkennung der Quelle schafft Vertrauen und ermöglicht Harmonie.

Mangelnde Anerkennung der Quelle äußert sich häufig entweder in einem diktatorischen Führungsstil („Ich bin der neue Boss hier und Ihr macht gefälligst, was ich sage!“) oder in einem rückgratlosen Egalitarismus („Wir sind alle gleich und jeder hat dasselbe Mitbestimmungsrecht.“). Erstere Vorgehensweise führt zu einer durch Angst bestimmten Arbeitsmoral, die sich in der Organisation u.a. in einer hohen Anzahl von Krankentagen äußert. Die zweite Herangehensweise befördert Ineffizienz und eine Kultur, in der Kameradschaft weit über Leistungsfähigkeit steht. Beide entziehen der Organisation wertvolle Mitarbeiter. Intelligente und selbständig handelnde Mitarbeiter haben weder ein Interesse daran, für eine Organisation zu arbeiten, in der sie sich einer autoritären Führung fügen müssen, noch für eine, in der jeder Prozess durch die Unfähigkeit zur Entscheidungsfindung behindert wird.

Die Verantwortung der Quelle

Die Verantwortung für die Anerkennung der Quelle liegt in einem besonderen Maße bei der Quelle selbst. Ein Quelle, die sich selbst verleugnet, die ihr Licht unter den Scheffel stellt und mit falscher Bescheidenheit agiert, raubt sich und ihrer Umwelt Energie: Häufig entstehen Spannungen und Eifersüchteleien im Team oder in der Beziehung und das Projekt stagniert, da die entscheidenden Informationen nicht fließen, oder sogar selbst von der Quelle zurück gehalten werden.

Eine Quelle, die nicht in ihrer Kraft ist, fühlt sich konstant nicht wertgeschätzt und anerkannt, aber sucht die Schuld für ihre Kränkung bei anderen. Eine Quelle, die sich mit ihrer Vision klar positioniert und sichtbar wird, ist für andere greifbar und wird zu einer attraktiven und charismatischen Partnerin.

Liebe und Macht

Die Macht der Quelle ist begründet in einer gewissen Gelassenheit, der Fähigkeit des stillen Zuhörens. Dies erlaubt der Quelle als Kanal zu fungieren für etwas, das aus dem Feld, dem Ort des uneingeschränkten Potenzials, geboren werden will. Eine meisterhafte Quelle erkennt demütig, dass der Akt der Schöpfung nicht zu verwechseln ist mit Eigentum, dass „meine Idee“ nie mir gehört, genauso wenig wie „mein Kind“ nicht mein Besitz ist.

Das Ringen um Macht und Einfluss in einer Organisation kann die Quelle aus der Balance bringen. Sie verliert die Qualität des Zuhörens, die den Akt der Schöpfung überhaupt erst ermöglicht hat. Wenn dies geschieht, kann es dazu kommen, dass die Quelle versucht, den Verlust ihrer intrinsischen Autorität auszugleichen durch Kontrolle, Gewalt oder Manipulation von Informationen zu ihrem persönlichen Nutzen. Als Konsequenz dieses Verhaltens büßt die Quelle ihre repräsentierende Funktion für die durch sie zum Ausdruck gebrachten Informationen ein, und erstickt ihren Zugang zu Kreativität und Weisheit.

Die Kunst der Quelle besteht darin, Macht (die Kraft der Umsetzung) und Liebe (die Kraft der Verbindung) in Spannung zu halten, damit aus reinem Potenzial etwas Reelles in die Welt gebracht werden kann. Der Verlust der Demut resultiert letztlich in einem Verlust von Liebe und einer gewalttätigen Machtausübung durch angsteinflößende Drohungen und künstlicher Verknappung von Ressourcen. Martin Luther-King spricht über diese Balance wie folgt: „Macht ohne Liebe ist rücksichtslos und gemein und Liebe ohne Macht ist sentimental und blutleer. Echte Macht ist Liebe, welche die Anforderungen der Gerechtigkeit erfüllt und echte Gerechtigkeit ist Macht, die alles ausräumt, was der Liebe im Weg steht.“

Dieser Artikel von Nadjeschda Taranczewski basiert auf den Ideen von Peter Koenig, der die Rolle der Quelle in Organisationen über Jahre hinweg untersucht hat.

Coaching-Fragen zur Selbstreflexion

  • Gibt es eine Situation in meinem Leben, in der ich mich als Quelle nicht anerkannt fühle?
  • Was sind die Konsequenzen hieraus?
  • Gibt es eine Situation, in der ich jemand anderen als Quelle nicht anerkannt habe?
  • Was sind die Konsequenzen hieraus?
  • Wo stehe ich mir selbst mein Quell-Sein nicht zu? (In anderen Worten: Wo mache ich nicht Mein DING, obwohl es von mir gemacht werden will?)
  • Was sind die Konsequenzen hieraus?
  • Was werde ich, aufgrund meiner neuen Erkenntnisse, tun?