Dieser Artikel erschien am 18. September 2019 bei mittwochs.online. In englischer Sprache erschien dieser Artikel am 19. Oktober 2019 auf Medium und am 1. Januar 2020 auf emerge.
Im Alter von sechzehn Jahren traf ich Gott das erste Mal. Als Kind links-intellektueller und atheistischer Eltern, war dies ein denkwürdiges Ereignis in meiner Welt. Zugegebenerweise wurde diese Erfahrung ausgelöst durch eine kleine Dosis „Magic Mushrooms“, die ich während eines Campingtrips mit Freunden in den USA konsumierte. An die Einnahme der psychogenen Pilze hatte ich damals keine Erwartung geknüpft, lediglich den Wunsch, meine Wahrnehmung (vor allem visuell) so zu intensivieren, wie es Freunde von ihren Trips berichtet hatten. Mein Trip entwickelte sich unerwartet. Ich erlebte nicht nur eine Verbundenheit mit aller Kreation im Universum, sondern hatte auch das Gefühl, eine abstrakte Version von Gott getroffen zu haben, die sich mir als reine Liebe offenbarte. Das damalige Erlebnis hat auf eine tiefgreifende Weise mein Verständnis der Welt geprägt und mein Vertrauen darin, mit dem Leben in Liebe verbunden zu sein.

Die Möglichkeiten von Psychedelika

Seit dieser Erfahrung und durch meinen weiteren Werdegang als Psychologin, haben mich die Möglichkeiten von Psychedelika und vor allem auch ihr Einsatz in der Psychotherapie interessiert. Nachdem Psychedelika in den 60er und 70er Jahren tragischerweise in den meisten Ländern auf die schwarzen Listen illegaler Substanzen gesetzt wurden, erfahren sie jetzt eine lang überfällige Renaissance. In den USA sind Substanzen wie Psylocibin (Magic Mushrooms), MDMA (Ecstasy) und Ketamin (ein starkes Beruhigungsmittel mit psychedelischen Eigenschaften) mittlerweile als sogenannte „breakthrough therapies“ anerkannt und damit auch wieder der systematischen psychologischen und pharmakologischen Forschung zugänglich. Die Erfolgsraten bei der Behandlung chronischer Depression, posttraumatischen Belastungsstörungen und Todesängsten, die mit unheilbaren Krankheiten wie Krebs einhergehen, sind so beachtlich, dass der Nutzen psychedelischer Substanzen nicht mehr von der Hand zu weisen ist. Die genaue Wirkung der Substanzen muss noch weiter erforscht werden. Hirnscans zeigen aber eindrucksvoll, wie sich durch psychedelische Substanzen die Aktivität der Hirnareale stark reduziert, die für die Konfiguration unseres „Ichs“ zuständig sind, wohingegen die Vernetzung im gesamten Gehirn stark stimuliert wird. Dies scheint zu einer verstärkten Wahrnehmung der Verbindung des Selbst mit anderen Menschen und der Natur zu führen. Die Folge ist ein Gefühl des Verbundenseins, das das starre Konzept unserer Persönlichkeit ins Fließen bringt. Subjektiv fühlt man sich hierdurch offener, entspannter und kann sich selbst, andere und die Welt liebevoller annehmen. Die Kombination von Psychotherapie mit psychedelischen Substanzen erfolgt hierbei in der Regel als Abfolge von gesprächstherapeutischen Sitzungen und geleiteten Trips, bei denen der Patient durch eine Therapeutin begleitet wird. Eingebettet in einen psychotherapeutischen Prozess lassen sich traumatische Erlebnisse, Drogenabhängigkeit (z.B. von Alkohol oder anderen Substanzen) oder Depressionen häufig deutlich schneller und wirkungsvoller transformieren als durch klassische Psychotherapie allein oder durch die Gabe von Psychopharmaka. Wer tiefer einsteigen will in den Stand der aktuellen Forschung, dem empfehle ich den TAZ-Artikel Die Persönlichkeit ins Fließen bringen, den TEDtalk von Rick Doblin „The future of psychedelic assisted psychotherapy“, den Podcast von Tim Ferris zu „Psychedelics — Microdosing, Mind-Enhancing Methods, and More“ oder das Buch Verändere dein Bewusstsein: Was uns die neue Psychedelik-Forschung über Sucht, Depression, Todesfurcht und Transzendenz lehrt von Michael Pollan. Die Beiträge gewähren Einblicke in die geschichtlichen Hintergründe der Verteufelung psychedelischer Substanzen, der Vorurteile, die sich seit Jahrzehnten halten, der echten Risiken, die mit diesen Drogen verbunden sind und den Einsatzmöglichkeiten, die aktuell erforscht werden.

Vorbereitung auf meine Reise

e mehr ich über Psychedelika erfuhr, desto stärker wurde mein Interesse daran, mich noch einmal auf eine psychedelische Erfahrung einzulassen. Diesmal wählte ich allerdings einen Kontext, der mir einen sicheren Rahmen für meine Erfahrung bieten würde. So entschied ich mich an einem dreieinhalbtägigen Workshop der British Psychedelic Society teilzunehmen. Diese führt professionell faciltitierte psychedelische Workshops in Holland durch und hat sich einen exzellenten Ruf verdient. Ich machte mich also auf die Reise nach Holland und ließ meinen Berliner Alltag hinter mir. Startpunkt des Workshops war ein Treffen der sechzehn Teilnehmer*innen in einem Amsterdamer Coffee Shop. In Holland ist der Verkauf und Verzehr „magischer Pilztrüffel“ erlaubt. Die Trüffel sind Teil des Wurzelsystems des Pilzes und haben die gleichen psychedelischen Eigenschaften wie der eigentliche Pilz. Nach Erwerb unserer wichtigsten Zutat fuhren wir im Reisebus in das Retreat Center, das anderthalb Stunden außerhalb Amsterdams am Rande eines malerischen Naturschutzgebiets liegt. Nach Ankunft am Freitagnachmittag waren der restliche Freitag und der halbe Samstag der emotionalen, psychischen und körperlichen Vorbereitung auf den Trip gewidmet. Mit viel Einfühlungsvermögen führten uns die Facilitatoren durch verschiedene Selbsterfahrungsübungen und stellten sicher, dass wir mit offenen Augen, Herzen und einer klar definierten Intention auf die „Reise“ gehen würden. Teil der Vorbereitung ist ein Einzelgespräch mit einem der Facilitatoren, bei dem nochmals über die persönliche Intention, Ängste und die richtige Dosis gesprochen wird.

Die Zeremonie

Am Samstagmittag bereiteten wir die Zeremonie, wie der psychedelische Teil des Retreats genannt wird, vor. Wie Kinder, die noch an den Weihnachtsmann glauben, sammelten wir uns gespannt um den großen Esstisch.  Die im Coffee Shop erworbenen Trüffelpakete wurden von den Facilitatoren verteilt und wir fingen an, die in Plastik eingeschweißten und etwas feuchten Trüffel mit einem schweren Gegenstand zu einer cremigen Paste zu zerstoßen. Damit die guten Wünsche jeder Person in jedes Trüffelpaket übergehen konnten, arbeiteten wir wie am Fließband. Jeder bearbeitete ein Trüffelpäckchen für eine Weile und schob es dann weiter, damit die nächste Person ihr Übriges beitragen konnte. Die eigentliche Zeremonie fand in einem großen Raum statt. Dieser war liebevoll mit Blumen und Kerzen dekoriert und hatte Platz für sechzehn Matratzen. Wir sollten unseren Blick nach innen richten, weshalb jeder Platz mit einer Augenmaske ausgestattet war, die wir nach Einnahme der Pilze aufsetzten. Die Pilz-Trüffel werden als Aufguss (Tee) eingenommen. Hierzu wird die vormals hergestellte Trüffelpaste in einer Tasse mit heißem Ingwerwasser aufgegossen (der Ingwer dient dazu, Übelkeit vorzubeugen, die manchmal durch die Pilztrüffel ausgelöst wird). Der Tee schmeckt nicht gut, allerdings auch nicht so schlecht wie ich erwartet hatte. Wer schon einmal eine Behandlung mit in der traditionellen chinesischen Medizin eingesetzten Pilzen überlebt hat, wird den Geschmack der psychogenen Pilz-Trüffel als harmlos empfinden. Ich nahm für diesen Trip eine Dosis zu mir, die Timothy Leary angeblich als „heroische Dosis“ bezeichnete – ich kann bestätigen, dass es sich für mich in der Tat um eine solche gehandelt hat. Nach dem Trinken des Tees legten wir uns alle auf unsere jeweilige Matratze und zogen unsere Augenmasken an, um uns ungestört auf den inneren Prozess einlassen zu können. Zu Beginn führte uns einer der Facilitatoren durch eine geleitete Visualisierung, die den Übergang von der normalen zur besonderen Welt erleichterte. Während des gesamten Trips wurden wir durch eine wunderbare Playlist begleitet, die speziell für die verschiedenen Phasen einer psychedelischen Reise erstellt wurde. Als mein Trip begann, wurden die Fragen und die Absicht, mit der ich ins Retreat gekommen war, schnell irrelevant. Ich wurde belohnt mit einer sogenannten „transpersonalen Erfahrung“, die sich nicht mit meinem persönlichen Leben, Fragen oder Herausforderungen befasste, sondern auf etwas Allgemeingültiges und Universelles bezog. Was ich erlebte, ist zu einem großen Teil kaum in Worte zu fassen, aber ich werde versuchen, es so gut wie möglich auszudrücken. Im Wesentlichen kann ich meine Erfahrung als die „Ekstase der Schöpfung“ beschreiben. Ich „war“ die Schöpfung, die sich selbst beim Schöpfen erlebte. Um es mit den Worten des Philosophen Syd Banks zu sagen: ich erlebte Geist, Bewusstsein und Denken.

Erster Akt: Schöpfung

Für einen Großteil der 7-stündigen Reise war ich völlig in „Geist“ versunken. In mir, durch mich und um mich herum entstand ein Meer der atemberaubendsten Bilder und Farben. Alles war Geometrie, Fraktale, Welten, die sich entfalteten, zusammenbrachen, mich umspülten, durch mich entstanden. Es gab alte Symbole und etwas, das sich anfühlte wie hinduistische Götter – mächtig, fesselnd und von unheimlicher Schönheit. Es gab Form und Formlosigkeit. Es gab Licht und Dunkelheit. Dann gab es Momente des Bewusstseins. Ich kann nicht einmal sagen, dass ich bei Bewusstsein war, denn „Ich“ hatte kaum Raum in dieser Erfahrung. Es gab ein Bewusstsein über die Erfahrung, eine kurzzeitige bewusste Wahrnehmung dessen, was geschah. Ab und zu erlebte ich völlige Glückseligkeit beim „Finden“ eines Körperteils: das Bewusst-werden darüber, dass es einen Fuß gibt, eine Hand, die den Boden spürt, ein Stück Stoff im Mund (mein Kissenbezug, vermute ich), die Hand eines anderen Menschen (ein Faciliator, der meine Hand hielt). Jedes körperliche Erleben war unglaublich intensiv und gleichzeitig entkörpert, da ich es kaum zu mir in Bezug setzen konnte. Schließlich reiste ich in das Zentrum des Universums, die Quelle von allem, was ist. In anderen kurzen Momenten gab es Gedanken; eine Metaebene, in der ich über das nachdachte, was ich erlebte und Assoziationen zu anderen Erfahrungen und Zuständen hatte. Während dieses Teils der Reise war ich in völliger Ekstase darüber, gleichzeitig Schöpferin und Zeugin dieser Schöpfung zu werden. Ich glaube, ich habe mehrmals in mein Kissen geschrien: „Das ist so schön, es ist zu schön für eine Person!“

Zweiter Akt: Trauer

Im nächsten Teil der Reise begegnete ich allumfassender und erschütternder Trauer. Auch hier handelte es sich nicht um persönliche Trauer. Ich trauerte um die Menschheit: den Holocaust, Südafrika, Venezuela, eine Freundin, die vergewaltigt wurde, und indem ich um sie trauerte, trauerte ich um alle Frauen, die jemals missbraucht wurden. Die Trauer fühlte sich unendlich an und ich glaube, ich schluchzte und heulte für lange Zeit und durchnässte definitiv das Kleid der wunderbaren Facilitatorin, die mich in dieser Zeit in ihrem Schoß weinen ließ.

Dritter Akt: Liebe

Als die Trauer verblasste, kam die Liebe. Vor meinem inneren Auge tauchten alle Menschen in meinem Leben auf, die ich liebe. Ich wurde überwältigt von einem Gefühl der zeitlosen Verbindung, der umfassenden Liebe und der tiefen Dankbarkeit dafür, wieviel Liebe es in meinem Leben gibt. Es fühlte sich an, als würde ein Spinnennetz der Liebe alles zusammenhalten, auch mich. Während der gesamten Erfahrung war meine vor drei Jahren verstorbene Mutter sehr präsent, und ich trauerte darum, dieses Spektakel nicht mit ihr teilen zu können, während ich gleichzeitig das Gefühl hatte, dass sie bei mir war und mich in meinem Prozess führte. Einer der anderen Teilnehmer berichtete am nächsten Tag, dass er während seines Trips in seinem Kopf einen Film drehte, der den Untertitel hatte „Du bist, wen Du liebst“. Ich stimme dem voll zu. Ich liebe viele Menschen. Ich bin ich. Ich bin sie. Ich bin der Raum dazwischen. Diese Erkenntnis brachte mich wieder in Kontakt mit jener göttlichen Energie, der ich schon als Sechzehnjährige begegnet war. Als die Wirkung der Droge nachließ, kehrte auch mein Selbst-Bewusstsein zurück und ich spürte meinen Körper. Zum ersten Mal seit Stunden öffnete ich meine Augen und genoss das visuelle Nachglühen der Pilztrüffel: die Lebendigkeit der Bäume und ihrer Blätter draußen vor dem Fenster, die Regenbogenfarben, die jede Person umgaben, die in mein Blickfeld trat, und die Intensität der Speisen, die magisch in der Mitte des Raumes erschienen waren. Der Geschmack der Himbeeren und der Schokolade, die ich aß, war ein transzendentes Erlebnis für sich!

Was bleibt

Während der sieben (!) Stunden meines Trips entwickelte sich alles so schnell, so heftig und mit so unbegreiflicher Schönheit, dass es keine Zeit gab, sich mit den flüchtigen Momenten der Angst und Dunkelheit zu beschäftigen, die ebenfalls auftauchten. Das Leben offenbarte sich als sich ständig verändernd, unbeständig und schön.  Visuell ist eine Sequenz des Films Dr. Strange übrigens eine erstaunlich gute Referenz für meine Erfahrung. Natürlich ohne Tilda Swinton und Benedict Cumberbatch. Die letzten anderthalb Tage des Retreats waren der Verarbeitung des Erlebten gewidmet. Der halbe Sonntag war den Erzählungen der Triperfahrung gewidmet. Die Geschichten, an denen ich teilhaben durfte, waren inspirierend, berührend und teilweise äußerst erheiternd. Aus unserer Gruppe von 16 Teilnehmer*innen hatte lediglich ein Teilnehmer einen unangenehmen Trip – aber selbst er hatte das Gefühl, durch diese Erfahrung einen Mehrwert erhalten zu haben. Seit meinem Trip fragten mich vielen Menschen, ob ich ihnen empfehlen würde, auch eine solche Reise zu machen. Das würde ich – in den meisten Fällen. Es ist sicherlich hilfreich, sich selbst gut zu kennen und sich vor dem Retreat darüber bewusst zu sein, welche Untiefen die eigene Psyche bereithält und welche Lebensthemen noch wunde Punkte sind. Schlechte Trips, vor denen die meisten Leute Angst haben, sind selten, aber es gibt sie natürlich. Ich würde deshalb dringend dazu raten, einen professionell begleiteten Trip zu buchen, bei dem geschulte Facilitator den eigenen Prozess begleiten. Jetzt, einige Wochen nach dieser mystischen Erfahrung, bin ich noch voller freudiger Verwunderung. Ich fühle mich privilegiert, etwas erlebt zu haben, das sich anfühlt wie der Blick hinter den Vorhang der Existenz. Ich bin dankbar, dass ich mich so vollständig hingeben und so furchtlos in das eintauchen konnte, was in einigen Momenten an das Erlebnis von Wahnsinn zu grenzen schien. Noch nie habe ich mir erlaubt, so völlig die Kontrolle abzugeben und mich einer reinen Erfahrung hinzugeben. Diese Erfahrung von Hingabe war mir nur möglich, weil ich dem sicheren Umfeld des Retreats und den liebevollen und aufmerksamen Facilitatoren der British Psychedelic Society voll vertrauen konnte. Ich bin ihnen und allen meinen Mitreisenden in Dankbarkeit verbunden.